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Die Kunst des Kauens

Dr. Adrian Weingart

Die Kunst des Kauens

Oft denken wir beim Thema Verdauung ausschließlich an Magen und Darm. Dass mit diesem Thema aber noch eine Reihe anderer Einflüsse und Mechanismen zusammenhängen, vergessen wir meist. 

Unsere Dailybacs wirken gezielt im Darm, einem der entscheidendsten Schritte im Verdauungsprozess. Die kleinen eigen- bestimmten Bakterien leisten lokal und meistens auch sehr erfolgreich ihre notwendige Unterstützung. Sie bringen die Darmflora wieder ins Gleichgewicht, können die Verdauung verbessern und eine effektive Resorption der Nährstoffe fördern. Doch tatsächlich beginnt die Verdauung schon viel früher - und zwar mit Verfahren, die wir gezielt steuern können. Das bedeutet, dass wir die Arbeit nicht einzig und allein den fremdbestimmten Mechanismen unseres Körpers und den fleißigen Probiotika überlassen müssen. Zusätzlich können auch wir - neben gesunder Ernährung und Sport - aktiv dazu beitragen, die Verdauung zu verbessern - und das auch noch viel leichter als gedacht!

Eine rhythmische Reise

Unsere Verdauung ist eine Komposition aus verschiedenen Rhythmen, erzeugt durch Instrumente, von denen viele vielleicht gar nicht wissen, dass sie einen Rolle dabei spielen. Denn unsere Verdauung beginnt streng genommen schon mit Augen und Nase. Sie dirigieren den Beginn des Rhythmus, denn sobald die Augen das Nahrungsmittel wahrnehmen, kann das bereits einen erhöhten Speichelfluss auslösen (vorausgesetzt das Essen sieht ansprechend aus). Auch die Riechnerven müssen erst ihr Einverständnis gewähren, bevor wir uns dem Mahl überhaupt hingeben. 

“Gut gekaut ist halb verdaut”

Hier beginnt die Kunst des Kauens. Mit einer stetigen, rhythmischen Bewegung des Kiefers wird die Nahrung zermalmt und zerkleinert. Je gründlicher, desto besser - denn so werden die Speisen in ihre Einzelteile zerlegt. Die vermehrte Speichelproduktion spendet Nahrungsmittel- spaltende Enzyme, welche die Nahrung chemisch teilen. Die sogenannten Amylasen trennen Kohlenhydrate in einfache Zucker-Bausteine auf. 

Try it yourself: wenn man Brot lange genug kaut, schmeckt es irgendwann süßlich!

So haben wir für Magen und Darm schon gut vorgearbeitet. Die kleinen Einzelteile können dadurch leichter von den anderen “Verdauungs-Instrumenten” aufgenommen und verstoffwechselt werden. So kommt es seltener zu unangenehmen Beschwerden wie Blähungen, Verstopfungen, Durchfall oder Sodbrennen. Das liegt ganz einfach daran, dass der Magen sich manchmal schwer tut, größere Nahrungsstücke zu zerkleinern. Denn diese kommen nur halbwegs aufgespalten im Darm an und verursachen altbekannte Probleme. Dabei ist auch noch entscheidend, dass großen Nahrungsmittel- Teilchen Energie und gute Nährstoffe nicht so effektiv entzogen werden können. Man kann es sogar als richtige Lebensmittelverschwendung betrachten, denn all die guten Nährstoffe landen einfach im Abfluss - dabei kann es sich auch um regionales, saisonales Bio-Gemüse handeln. Solch ein “Nutrient-Waste” wäre doch wirklich zu schade und vor allem zu teuer, um alles direkt wieder in der Toilette zu versenken.  Der Arzt Dr. Stossier hat es im Buch “Viva Mayr” gut auf den Punkt gebracht: „…es macht gar keinen Sinn, Geld für Bio-Lebensmittel auszugeben, wenn wir sie nicht lange genug kauen. Dann können Sie ebenso gut industriell verarbeitete Lebensmittel essen.“

Nachdem die Zähne und der Kiefer ihren rhythmischen Beitrag geleistet haben, schiebt die Muskelbewegung der Speiseröhre die Nahrung, an Herz und Lunge vorbei, in Richtung Magen-Darm-Trakt. Die rhythmischen Impulse dieser Organe, Herzschlag und Atmung, können auch als Teil des Prozesses gesehen werden. Im Magen angekommen wird der Rhythmus erneut aufgemischt. Durch Magenperistaltik, der Bewegung des Magens, wird der Speisebrei weiterhin verflüssigt, geknetet und aufgespalten, gleichzeitig durch Salzsäure sterilisiert und weiter in den Dünndarm dirigiert. 

Der Dünndarm ruht nie - er arbeitet wie das Herz in einem stetigen Rhythmus, der die Magensäure neutralisiert. Die Bauchspeicheldrüse und Galle spielen mit ein, denn ihre Sekrete liefern wichtige Enzyme, die die aufgenommene Nahrung zu Ende verdaut. Hier kann es manchmal zu einer Disharmonie des Rhythmus kommen - denn in diesem Prozess machen sich potenzielle Unverträglichkeiten bemerkbar. Die übrigen Nahrungsbestandteile, die unser Körper nicht benötigt oder nicht resorbieren kann, werden im Dickdarm zunächst eingedickt und dann ausgeschieden. Auch der Dickdarm bewegt sich in einem Rhythmus, der die gesamte Komposition allerdings etwas zurückholt. Denn sein Tempo ist langsamer und er hält den Speisebrei gegen Ende auf, in die entgegengesetzte Richtung der Bewegung des Dünndarms. 

Ja, die Verdauung ist ein wunderbares, rhythmisches Zusammenspiel! Aber leider gibt es auch Dinge, die diesen Rhythmus stören können. Hier kommt nämlich das Kauen wieder ins Spiel. Oft befinden wir uns in der Situation das Essen nicht richtig genießen zu können. Wir sind nicht präsent und beim Verzehr nicht gewissenhaft, stopfen hastig in uns hinein, abgelenkt von den vielen Einflüssen um uns herum: ob Handy, Fernseher oder eine Unterhaltung mit dem Gegenüber. Essen verbindet Menschen und bringt Freunde, Familie und Fremde bekanntlich zusammen. Sich zu unterhalten ist Teil des schönen Erlebnisses, jedoch sollte dabei die gründliche mechanische Verdauung nicht in den Hintergrund rücken. 

Denn demjenigen der richtig und gründlich kaut, ist nicht nur der Magen dankbar, sondern auch die Geschmacksnerven. Man kommt in den Genuss der verschiedenen, abwechslungsreichen Geschmacks-Schichten, die eine Speise zu bieten hat. Außerdem, kann man durch richtiges Kauen schlanker werden. Abnehmen durch gewissenhaftes Kauen? Das klingt irgendwie unrealistisch, ist aber bewiesen. Wer gründlicher kaut, nimmt sich automatisch mehr Zeit zum Essen und wird sich an einem früheren Zeitpunkt über sein Sättigungsgefühl bewusst. Das Gehirn hinkt zeitlich nämlich etwas hinterher und braucht mindestens 15 Minuten, um dem Körper das Gefühl von Sättigung mitzuteilen. 15 Minuten sind ein ganz schön langer Zeitraum, wenn man betrachtet, wie viel ein “Schnellesser” in dieser Zeit herunterschlingen kann. Man ist mit kleineren Portionen zufrieden gestellt, welches sich positiv aufs Gewicht auswirken kann (vorausgesetzt man leidet unter Übergewicht). Ausgiebiges Kauen bedeutet ebenfalls, dass weniger Luft geschluckt wird. Dies vermeidet ein schlappmachendes Völlegefühl nach dem Essen. 

Der klassische Alltagsrhythmus stimmt nicht mit dem Verdauungsrhythmus überein:

Achte einfach mal auf deine eigenen Gewohnheiten. Man möchte oft so schnell wie möglich satt werden, eine Kombination aus nagendem Hungergefühl und dem Druck so schnell wie möglich wieder in den Alltagsrhythmus eintauchen zu können. Dies erklärt auch den Anstieg an Fast Food Restaurants in den vergangenen Jahren. Desto schneller, desto besser und dabei fällt oft die Qualitätsfrage weg. Unser Körper ist von Natur aus darauf ausgelegt über langes Kauen die Nahrung im Mund zu selektieren und Ungenießbares oder Giftiges auszusondern. Ungeniessbares enttarnt sich nämlich oft erst in der letzten Geschmacksnuance! Zum Beispiel schmeckt ungesundes, raffiniertes Essen nach längerem Kauen gar nicht mehr so gut.  

Anti-Stress Therapie

Sich die Zeit für entspannte Mahlzeiten zu nehmen, kann im stressigen Alltag als eine richtige Anti-Stress-Therapie wirken. Viele Menschen die ihr Kauverhalten umgewandelt haben, berichten, dass sich die mechanischen Kaubewegungen entspannend auf den gesamten Körper auswirken. 

Wenn diese lange Liste an Vorteilen des ausgiebigen Kauens immer noch nicht gereicht hat, um dich zu überzeugen - mach dich gefasst! Denn wir haben noch eine ganze Menge an Gründen gut zu kauen, die dich garantiert vom Stuhl fallen lassen:

Jugendlich, Immun und Federleicht nur durchs Kauen!?

  1. Jugend ausstrahlen: 

Das Kauen setzt das Hormon Parotin über die Ohrspeicheldrüsen in den Mund frei. Parotin wurde durch wissenschaftliche Forschungen als Regenerations-Wunder offenbart. Denn es regt den Zellstoffwechsel an und ist so verantwortlich für die Regeneration des gesamten Körpers. Eine Studie zeigte, dass Probanden die Parotin Behandlungen bekamen, wesentlich jünger aussahen. 

  1. Abwehr-Power: 

Da die Lebensmittel die wir zu uns nehmen natürlich alles andere als steril sind, sorgt der Speichel in der Mundhöhle vor. Er tötet schon die ersten Bakterien ab. Das passiert mithilfe des Proteins Histamin und einem antibakteriellen Enzym, das sogenannte Lysozym. Durch die vermehrte Speichelproduktion beim Kauen kann die Abwehrstärke des gesamten Körpers beeinflusst werden und auch der Verdauungstrakt wird effektiver vor Eindringlingen und die daraus resultierenden Erkrankungen geschützt! 

  1. Federleicht fühlen:

Nach dem Essen federleicht fühlen? Dieses Erlebnis kennen die Meisten nicht. Aber wenn man richtig kaut, vermeidet man  große Speisebrocken im Magen, die schnell zu gären beginnen und dich dadurch aufgebläht und schwer fühlen lassen. Sind die Teile kleiner, muss der Körper weniger Energie aufwenden, um diese zu zerkleinern.. So fühlt man sich statt träge, schwer und müde eher fit und leicht - denn man kann die aufgenommene Energie für viel bessere Dinge verpulvern! 

  1. Hollywood Smile

Um unangenehme Zahnarztbesuche zu vermeiden, einfach mal richtig kauen. Denn die Kaumuskeln und das Zahnfleisch werden so besser durchblutet. Das führt zu einer Stärkung des gesamten Kiefers. Der Speichel umspült die Zähne. Dies wirkt desinfizierend und karieshemmend. Da sollte deinem strahlenden Lächeln nichts mehr im Wege stehen!

Aber wie Kaut man “richtig”?

Experten raten zu 40 bis 50 Kauwiederholungen eines Bissens. Ja, das ist eine ganze Menge! Wer es einfach mal ausprobieren möchte, kann auch erstmal mit 20 Wiederholungen beginnen und sich in kleinen Bissen hocharbeiten! Denn dann fällt einem meist auf, wie wenig gewissenhaft das gewohnte Essverhalten in der Vergangenheit war. Vielleicht führt es aber auch dazu, dass du anfängst, dich über dich selbst und die verpassten Geschmackserlebnisse zu ärgern beginnst. 

Beginne besser spät als nie! Dein Magen und Darm werden es dir besonders danken und dich wahrscheinlich schnell mit einer verbesserten Verdauung belohnen, die sich auch auf deinen gesamten Körper und dein Wohlbefinden auswirken kann!

FUN FACT: 

Pflanzenfressende Vögel haben oft Steine im Magen und zwar mit gutem Grund. Die sogenannten Gastrolithen sind dazu da, den Speisebrei im Magen weiter zu bearbeiten und zu zerkleinern. Denn Gras und andere Pflanzen sind sehr schwer verdaulich. Gastrolithen sind auch in Verbindung mit Dinosauriern bekannt. 


Quellen: 

https://www.weleda.de/magazin/gesundheit/verdauung_was_in_unserem_koerper_geschieht

https://www.gesundleben-apotheken.de/content/gut-gekaut-ist-halb-verdaut.200588.html

https://www.mayr-kuren.de/darmfit-mit-richtigem-kauen.html

https://www.wasistwas.de/archiv-wissenschaft-details/speichel-gut-gekaut-ist-halb-verdaut.html

https://www.darmreinigung.de/info/das-richtige-kauen/

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